Digitaler Zwilling – Teil 3/3

Eine Brücke zwischen analoger und digitaler Welt

May the digital transformation be with you

Zum Abschluss der dreiteiligen Serie „Digitaler Zwilling: Eine Brücke zwischen analoger und digitaler Welt“ schauen wir uns heute an, wie man den Mobilfunk und Digitale Zwillinge (eng. Digital Twin, kurz DT) gemeinsam denken kann und wie sie sich gegenseitig beeinflussen können. Darüber hinaus werfen wir einen Blick in die Zukunft und schauen, wie sich DTs in den nächsten Jahren voraussichtlich weiterentwickeln werden. Im Fazit des Beitrags fasse ich noch einmal kurz zusammen, was wir uns in den letzten Wochen zum Thema DTs erarbeitet haben und versuche einzuordnen, ob DTs ein Instrument in der digitalen Transformation sein können.

Die Brücke zum Mobilfunk

Warum brauchen Mobilfunktechnologien überhaupt Digitale Zwillinge?

Beginnen wir zunächst mit dem Einfluss, den DTs auf den Mobilfunk haben können. Durch die Erstellung virtueller Abbilder der physischen Mobilfunkinfrastruktur und der Integration von Echtzeitdaten, wie die Signalstärke, das Nutzerverhalten, die Netzwerkauslastung oder die Umgebungsbedingungen, könnten Netzbetreiber das Netzwerkverhalten simulieren, potenzielle Engpässe identifizieren und Optimierungsstrategien entwickeln, ohne dabei das reale Mobilfunknetz zu beanspruchen. Beispielsweise könnten sich physikalische Eigenschaften wie die Funkwellenausbreitung analysieren lassen, um durch gezielte Antennenausrichtung und der Berücksichtigung geografischer und baulicher Gegebenheiten eine bessere Netzabdeckung zu erzielen.

Eine vorausschauende Wartung und Fehlerdiagnose könnte durch den Einsatz von DTs ermöglicht werden, indem sie mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) Anomalien frühzeitig erkennen und geeignete Maßnahmen vorschlagen, um diese zu beheben. Das würde die bidirektionale Kommunikation zwischen virtuellem und realem Netz erlauben. Dadurch könnte automatisiert in das Mobilfunknetz eingegriffen werden, um dieses kontinuierlich zu verbessern.

Darüber hinaus ermöglichen DTs das Testen von Netzwerk-Slices, die Validierung der Datenrate anhand realer Gesprächsdaten, die Erprobung komplexer Handover-Szenarien, die Prüfung neuer Funkzugangstechnologien sowie die Sicherstellung der End-to-End-Performance von Mobile Edge Computing und Network Function Virtualization (Nguyen et al. 2021). Nicht zuletzt könnten DTs zur Reduzierung von Entwicklungszeiten und -kosten beitragen, da neue Dienste und Netzwerkanpassungen virtuell getestet und optimiert werden. Sie würden den gesamten Lebenszyklus eines Netzes von der Planung über den Betrieb bis hin zur kontinuierlichen Anpassung begleiten.

Ein praktisches Beispiel für die Anwendung im Mobilfunk resultiert aus der Zusammenarbeit zwischen Swisscom AG und Telefonaktiebolaget LM Ericsson, die gemeinsam einen DT einsetzen, der die eingespeiste Sendeleistung mittels Reinforcement Learning reduzieren soll. Darüber hinaus bieten Unternehmen wie Nokia Corporation, Viavi Solutions Inc. oder Spirent Communications plc kommerziell DTs für Mobilfunklösungen an, um durch Simulation in verschiedenen Anwendungsbereichen eine Verbesserung des Use-Cases anzustreben.

Neben den Anwendungen aus der Wirtschaft entwickelten wir in unserem Konsortium gemeinsam mit dem 6GEM Research Hub ein spannendes Projekt, bei dem die TU Dortmund einen DT zur Optimierung des Beam-Managements in Millimeterwellen-Netzwerken verantwortete. Der DT stellt die physische Netzwerkumgebung virtuell dar, um die präzise Modellierung der Antennenpositionen, Hindernissen im Raum und reflektierenden Oberflächen zu ermöglichen. Die virtuelle Nachbildung ist direkt mit der realen Infrastruktur gekoppelt. Dementsprechend kann die Untersuchung von verschiedenen Beam-Management-Strategien in einem kontrollierten, aber realitätsnahen Umfeld durchgeführt werden. Der DT erfasst in Echtzeit Kontextinformationen wie den Zustand der Funkverbindung und ermöglicht es, Beam-Management-Entscheidungen basierend auf vordefinierten Modellen und Echtzeitdaten zu treffen.

Eine konkrete Anwendung ist der Einsatz passiver Reflektoren, die mithilfe des DTs optimiert werden. Die Reflektoren sind so konfiguriert, dass sie Signale in Bereichen mit eingeschränkter Sichtverbindung umlenken können, damit eine konstante und stabile Verbindung zwischen verschiedenen Geräten ohne Unterbrechung bestehen bleiben kann. Der DT ermöglicht dabei die Analyse der optimalen Reflektoreinstellungen unter Berücksichtigung der physischen Umgebung und der Signalwege. Durch diesen Ansatz wird untersucht, wie Reflektoren zur Stabilisierung und Verbesserung der Millimeterwellen-Signalqualität in komplexen Umgebungen beitragen können.

Warum brauchen Digitale Zwillinge überhaupt Mobilfunktechnologien?

Einfache DT mit geringem Datenaufkommen benötigen nicht zwangsläufig mobilfunkbasierte Lösungen und können im kleinen Maßstab den Datenverkehr über kabelgebundene Verbindungen oder andere Funktechnologien wie WLAN leiten. Bei größeren Systemen wie Städten, dem Mobilfunkökosystem oder ganzen Produktionsanlagen, in denen der Datenaustausch zwischen zahlreichen Geräten nicht einfach über Kabel realisiert werden kann, ist eine stabile drahtlose Konnektivität unverzichtbar.

Stellen Sie sich eine Stadt vor, in der jeder Aspekt des Lebens über eine digitale Nachbildung gesteuert wird. Ampeln, Kameras, Laternen und Busse senden kontinuierlich Daten über ein Funknetz an einen zentralen Server. Der Verkehr fließt reibungslos, da Ampeln ihre Phasen in Echtzeit an die Fahrzeugdichte anpassen und autonome Busse ständig ihre zu fahrende Route optimieren. Intelligente Müllbehälter melden ihren Füllstand und lösen bedarfsgerechte Entleerungen aus, während Straßenlaternen auf Bewegungen und Tageszeit reagieren. Luftqualitätssensoren überwachen Schadstoffe und steuern Belüftungssysteme, während sich in Parks die Bewässerung an aktuelle Wetterbedingungen anpasst. All diese Geräte senden und empfangen kontinuierlich Daten. Die Herausforderung dabei besteht darin, eine Vielzahl von Geräten gleichzeitig mit hohen Datenraten und geringen Latenzen über eine große Fläche hinweg mit einer stabilen, zuverlässigen und hochleistungsfähigen drahtlosen Kommunikationsinfrastruktur zu verbinden.

Vor diesem Hintergrund betonen Ahmadi et al. (2021), dass die sechste Mobilfunkgeneration zukünftig als Enabler für diese Art von Systeme dienen könnte. Laut den Autoren wird 6G extrem hohe Datenraten, ultraniedrige Latenz und hohe Zuverlässigkeit bieten, was eine Echtzeitkommunikation zwischen DTs und ihren physischen Gegenstücken ermöglicht. Es soll eine nahtlose Integration zahlreicher IoT-Geräte unterstützen und verteilte Intelligenz fördern, indem KI-basierte Analysen sowohl in der Cloud als auch am Netzwerkrand durchgeführt werden (Ahmadi et al. 2021). DT-Anwendungen wie für das autonome Fahren, die Automatisierung ganzer Produktionsanlagen und die Optimierung der Mobilfunkabdeckungen könnten besonders von der Zuverlässigkeit, der hohen Datenrate und niedrigen Latenz von 6G profitieren.

Ausblick in die Zukunft

Nachdem wir den Begriff des DTs nun theoretisch und praktisch mithilfe von Beispielen aus der Industrie, Stadtplanung und dem Mobilfunk durchdrungen haben, möchte ich noch kurz darauf eingehen, wie sich DTs in der Zukunft entwickeln könnten.

Neben dem Fortschritt, dass immer mehr Daten in immer kürzerer Zeit übertragen werden können, Prozessoren leistungsfähiger, Batterien effizienter und Sensoren präziser werden, entstehen neue Möglichkeiten für die Realisation von DTs durch Entwicklungen in KI, vernetzter Infrastruktur und digitalen Plattformen. Nach Dihan et al. (2024) zeichnen sich für DT künftig insbesondere Entwicklungen hin zu intelligenter Datenverarbeitung und autonomer Systemoptimierung auf Basis von KI und maschinellem Lernen ab. Darüber hinaus gewinnen die nahtlose Integration physischer und virtueller Systeme durch IoT sowie die Nutzung cloudbasierter Plattformen für skalierbare Analyse, Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung an Bedeutung. Der zunehmende Einsatz in neuen Anwendungsfeldern wie Medizin, Landwirtschaft oder urbaner Infrastruktur könnte dabei die gesellschaftliche Relevanz von DTs erhöhen (Dihan et al. 2024).

Im Kontext von Industrie 5.0 sehen Barata und Kayser (2024) Entwicklungen, bei denen die Integration in menschenzentrierte Anwendungen die Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine verbessern soll. Intelligente DT-Architekturen wie Fleet-Lösungen, also die koordinierte Verwaltung mehrerer DTs, sollen eine resiliente und skalierbare Systemsteuerung ermöglichen. Neue Standards und Schnittstellen sollen die Interoperabilität in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken sichern. Sozio-technische Modelle wie das SA-DT-Framework, das soziale sowie technologische Wechselwirkungen in digitalen Nachbildungen berücksichtigt, fördern darüber hinaus eine ganzheitliche Einbindung ökologischer und gesellschaftlicher Aspekte (Barata & Kayser, 2024).

Nach Alvi et al. (2025) könnten DTs künftig eine zentrale Rolle in der Entwicklung urbaner Räume übernehmen. Der technologische Fortschritt ermöglicht es zunehmend, komplexe urbane Systeme in Echtzeit abzubilden und zu steuern. Während heute vielerorts noch Datenlücken, fehlende Standards und begrenzte Rechenressourcen den großflächigen Einsatz einschränken, könnten DTs in Zukunft die Chance eröffnen, Städte vorausschauend zu planen, Auswirkungen geplanter Maßnahmen präzise zu simulieren und Entscheidungen datenbasiert sowie partizipativ mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treffen (Alvi et al. 2025).

Für den Mobilfunk könnten DTs in der Zukunft als Enabler dienen. Sie können Echtzeitdaten aus der physischen Welt in adaptive, selbstlernende Steuerungssysteme übersetzen, um zuverlässige, skalierbare, sichere und hochkomplexe 6G-Dienste zu ermöglichen und gleichzeitig die Herausforderungen wie Latenz, Ressourcenmanagement und Sicherheitsanforderungen zu adressieren (Khan et al. 2022).

Konklusion

Mit der dreiteiligen Serie „Digitaler Zwilling: Eine Brücke zwischen analoger und digitaler Welt“ habe ich versucht, Ihnen einen kompakten Überblick über das Thema „Digitaler Zwilling“ zu geben und ich hoffe, Sie ein wenig neugierig gemacht zu haben. Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein DT ist eine dynamische, digitale Repräsentation eines physischen oder abstrakten Objektes, Systemes respektive Prozesses. Im Gegensatz zu statischen digitalen Modellen geht er über einfache Simulationen hinaus, da er einen bidirektionalen Austausch zwischen realer und virtueller Welt ermöglicht. Veränderungen in der physischen Entität spiegeln sich in Echtzeit in der digitalen Nachbildung wider, vice versa. Das erlaubt nicht nur die Überwachung und Analyse, sondern auch die aktive Steuerung und Optimierung verschiedenster Prozesse.

Die Entwicklung und Anwendung von DTs wird durch Schlüsseltechnologien wie IoT-Geräte, KI, Cloud-Computing und erweiterte Realität (XR) ermöglicht. Diese Technologien erlauben die Erfassung, Verarbeitung und Visualisierung großer Datenmengen in Echtzeit. Standardisierungen wie die Asset Administration Shell (AAS) oder verschiedene Normierungen fördern zudem die Interoperabilität und Skalierbarkeit von DTs in unterschiedlichen Anwendungsfeldern.

Bereits heute lassen sich DTs vergleichsweise gut in statischen, deterministischen Systemen wie einem Roboterarm an einem Fließband umsetzen. Deren Abläufe sind klar strukturiert und Veränderungen an der physischen Einheit lassen sich gezielt planen und in den digitalen Raum translatieren. Weitaus anspruchsvoller ist hingegen die Modellierung dynamischer, kontingenter Systeme wie Städte, deren Strukturen sich laufend und unvorhersehbar verändern. Deshalb ist eine präzise Unterscheidung zwischen Digitalen Zwillingen, Digitalen Schatten und Digitalen Modellen wichtig, um Missverständnisse bei der Konzeption digitaler Repräsentationen zu vermeiden.

Persönliche Note

In den letzten sechs Monaten habe ich mich mit dem Thema „Digitale Zwillinge“ beschäftigt und dabei die Überzeugung gewonnen, dass ihr Potenzial weit über die Optimierung wirtschaftlicher Prozesse hinausgeht. DTs könnten dabei helfen, gesellschaftliche Fragestellungen datenbasiert und sozialverträglich zu gestalten – sei es bei der Beleuchtungsgestaltung von Bahnhöfen, der Begrünung von Freiflächen oder der gezielten Planung der Mobilfunkabdeckung.

Gleichzeitig wirft der Einsatz von DTs eine Reihe kritischer Punkte auf. Technologische Herausforderungen wie mangelnde Standardisierung, unzureichende Datenqualität und hohe Rechenanforderungen erschweren eine flächendeckende Nutzung. Darüber hinaus ergeben sich durch die datengetriebene Natur von DTs neue Risiken in Bezug auf Datenschutz, Informationssicherheit, Cybersecurity und eine mögliche Abhängigkeit von proprietären Plattformanbietern. Gerade im urbanen Raum stellt sich die Frage, wie mit sensiblen Daten verantwortungsvoll umgegangen wird und wie Bürgerinnen und Bürger in automatisierte Entscheidungsprozesse einbezogen werden können. Auch der nicht zu vernachlässigende Energieverbrauch für Datenerhebung und -verarbeitung muss bei einer nachhaltigen Bewertung berücksichtigt werden.

Trotz dieser berechtigten Herausforderungen bin ich überzeugt, dass DTs künftig ein zentrales Instrument der digitalen Transformation sein werden. Durch die Integration moderner Technologien bieten sie vielfältige Möglichkeiten für Innovation, Effizienzsteigerung und nachhaltige Gestaltung in wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Kontexten. Damit dieses Potenzial verantwortungsvoll ausgeschöpft werden kann, braucht es jedoch technologische Sorgfalt, klare rechtliche Rahmenbedingungen, Aufklärung und Bildung sowie eine breite konstruktive gesellschaftliche Debatte über die Digitalisierung der physischen Welt.

 

Literatur:

Ahmadi, H., Nag, A., Khar, Z., Sayrafian, K., & Rahardja, S. (2021). Networked twins and twins of networks: An overview on the relationship between digital twins and 6G. IEEE Communications Standards Magazine, 5(4), 154–160. https://doi.org/10.1109/MCOMSTD.2021.9614875

Alvi, M., Dutta, H., Minerva, R., Crespi, N., Raza, S. M., & Herath, M. (2025). Global perspectives on digital twin smart cities: Innovations, challenges, and pathways to a sustainable urban future. Sustainable Cities and Society, 126, 106356. https://doi.org/10.1016/j.scs.2024.106356

Barata, J., & Kayser, I. (2024). How will the digital twin shape the future of Industry 5.0? Technovation, 134, 103025. https://doi.org/10.1016/j.technovation.2023.102925

Heimann, K., Häger, S., & Wietfeld, C. (2023). Demo abstract: Experimental 6G research platform for digital twin-enabled beam management. In Proceedings of the International ACM Symposium on Mobility Management and Wireless Access (MobiWac ’23) (pp. 125–128). Association for Computing Machinery. https://doi.org/10.1145/3605661.3623089

Khan, L. U., Saad, W., Niyato, D., Han, Z., & Hong, C. S. (2022). Digital-twin-enabled 6G: Vision, architectural trends, and future directions. IEEE Communications Magazine, 60(1), 74–80. https://doi.org/10.1109/MCOM.001.21143

Liu, J., Duan, L., Lin, S., et al. (2025). Concept, creation, services and future directions of digital twins in the construction industry: A systematic literature review. Archives of Computational Methods in Engineering, 32, 319–342. https://doi.org/10.1007/s11831-023-09883-1

Nguyen, H. X., Trestian, R., To, D., & Tatipamula, M. (2021). Digital twin for 5G and beyond. IEEE Communications Magazine, 59(2), 10–16. https://doi.org/10.1109/MCOM.001.2000343

 

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