Studierende berichten: AR in der medizinischen Lehre

Studierende des Universitätsklinikums Düsseldorf erprobten erstmals innerhalb eines Anatomie-Moduls den Einsatz von AR-Brillen in der medizinischen Ausbildung. Die mit den Studierenden geführten Interviews verdeutlichen den individuell erlebten Nutzen von AR-Anwendungen, insebsondere wenn sie als ergänzendes und nicht alleinstehendes didaktisches Instrument eingesetzt werden.

Am Uniklinikum Düsseldorf (UKD) konnten Studierende des 5. Semesters anatomische Inhalte über Augmented Reality (AR)-Brillen testen und erleben. Unter Augmented Reality wird die Einbettung von digitalen Elementen in die reale Welt verstanden. Die AR-Brillen wurden von dem deutschen Unternehmen Brainlab zur Verfügung gestellt, die auf Hardware und Softwaresystemen für das bildgesteuerte Operieren spezialisiert sind. Als Konsortialführer des Projekts GIGA FOR HEALTH, das einen der europaweit ersten 5G-Medizincampi errichtet, verfolgt das UKD das Ziel, die medizinische Ausbildung durch 5G-Anwendungen in der Lehre zu verbessern.  In einem Interview, geleitet von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hannah Seichter, berichten Studierende von ihrer Erfahrung, dem Vorgang der Implementierung und bewerten den erlebten Nutzen von AR-Brillen als didaktisches Instrument in der medizinischen Lehre.

Großes Interesse nach erstem Herantasten mit Augmented Reality

Studierende, die über ihr Wahlfach in der Anatomie-Lehre die Möglichkeit erhielten, sogenannte Original-Präparate in einer neuen Betrachtungsweise mit „Augmented Reality Linsen“ zu erleben, waren positiv überrascht. „Beim ersten Austesten war ich sehr fasziniert davon und habe schon nach wenigen Minuten gesehen, dass [der Einsatz von AR] einen sehr großen Nutzen bietet“, berichtet eine Studierende. Original-Präparate bezeichnen Körperstrukturen einer Leiche, die innerhalb von Präparierkursen untersucht werden, um den Aufbau des menschlichen Körpers zu erlernen. Bisher hatten sie keine eigenen Erfahrungen mit AR in der medizinischen Lehre gemacht, lediglich davon gehört, dass AR in der Neurochirurgie vorbereitend für OP-Settings eingesetzt werden kann. Die Studierenden gingen daher ohne Vorannahmen über die Utilität von AR und mit einem hohen Grad an Neugier an das Projekt heran.

AR bietet Nutzen – aber nur in einer hybriden Gestaltung des Präparierkurses

Die Erprobung mit AR-Brillen erforderte 10-15 Minuten Einarbeitungszeit, um ein sicheres Handling und das umfassende Verständnis der neuen Funktionen zu erhalten und umzusetzen. In dem Interview mit den Studierenden wird direkt deutlich, dass sie die Implementierung der AR-Brillen befürworten – jedoch als „zusätzliches Format“. Die interviewten Studierenden sind der einstimmigen Meinung, dass die digitale Darstellung verschiedener Anomalien mittels Augmented Reality einen großen Vorteil bietet, indem verschiedene digitale Perspektiven eine wahrheitsgetreue und einfachere Orientierung bieten und das Verständnis verschiedener Strukturen erleichtern. „Es hat mir unfassbar geholfen, sich anders im Schädel zu orientieren, um sich mit den Strukturen vertraut zu machen“, berichtet eine Studierende.

Der berichtete „enorme Nutzen“, der durch die Implementierung von Augmented Reality in der medizinische Lehre entsteht, tritt laut den interviewten Studierenden nur dann ein, wenn man AR als zusätzliches didaktisches Instrument integriert. Der Idee, den Kurs, in dem stark praxisorientiert mit Präparaten gearbeitet wird, zu digitalisieren, stehen sie mit Skepsis gegenüber: „Also ich bin auf jeden Fall auch der Meinung, dass das Analoge dem Digitalen zu bevorzugen ist.“ Es sei zugleich jedoch sinnvoll, die „eng bemessenen Präp-Kurse“ um weitere Termine mit dem Einsatz von AR zu erleichtern, um die analogen Sitzungen effizienter zu gestalten. Als Gründe für die Bevorzugung der analogen Ausgestaltung berichten die Studierenden von der fehlenden Haptik in der via AR vermittelten Anatomie sowie dem Mangel an sozialem, interpersonellem Austausch, der durch das Lernen mit AR befürchtet wird: Mit der Nutzung von AR-Brillen haben Lernende ihre eigene visuelle Realität vor Augen, wodurch die anderen Sinne im Lernprozess außen vor bleiben, so eine formulierte Sorge.

AR als Instrument zur Verbessrung der räumlichen Vorstellungskraft

Trotz der wahrgenommenen Einschränkungen haben alle drei Studierende einen eindeutigen „Aha-Moment“ erlebt, der durch das Lernen mit den AR-Brillen hervorgerufen wurde. „Das man einfach diese Ausdehnung in der Schädelhöhle von verschiedenen Seiten anschauen kann“, sei ein solcher„Aha-Moment“ gewesen. Ein weiterer Studierender sieht einen „Aha-Moment“ insbesondere in einer verbesserten räumlichen Vorstellung mit der Option an verschiedenen Perspektiven von Schichten und Zugängen. Weiter schlägt er vor, aufgrund dieser neuen Möglichkeiten, den Einsatz von AR-Brillen als Vorbereitung für die Präparation in analoger Form zu nutzen. So können ein umfassenderes Verständnis der räumlichen Gestaltung verschiedener Faszien, deren Tiefe und Ausrichtung, generiert werden.

Bedenken und Herausforderungen beim Einsatz von AR

Eine zu große Gruppengröße an Studierenden wurde als einen möglichen Vorbehalt gegenüber dem Einsatz on AR in der medizinischen Lehre geäußert, da dadurch eine ausgiebige Einarbeitungszeit gefährdet sein könnte. Auch wird die Voraussetzung einer guten Qualifizierung des Dozierenden für die Nutzung der Technik betont, um die Akzeptanz der Studierenden, AR in die medizinische Lehre zu implementieren, zu erhöhen.

Eine weitere Herausforderung ist die Grenze in der anatomischen Variation. Demnach könnte das Verständnis der individuellen Beschaffenheit eines Körperteils durch die vereinheitlichte digitale Darstellung mit AR verloren gehen. Aus der Erfahrung heraus, wie das Lernen und die Lehre in der Corona-Pandemie gestaltet wurde, befürchten die Studierenden, dass die Überführung in das digitale Lernen als „bequemliche“ Ausgestaltung ausgenutzt werden und der Unterricht in Präsenz zum Bedauern der interviewten Personen eingespart werden könnte.

Trotz hypothetischer Grenzen und Einschränkungen geht aus dem Interview deutlich hervor, dass die Studierenden die Implementierung von AR-Brillen in der medizinischen Lehre bereits nach der ersten „Schnupper-Stunde“ befürworten. Eine ergänzende Nutzung sei effizient und erleichtere zum einen eine umfassende Orientierung und Lokalisation in der Anatomie und zum anderen die Vorbereitung auf Operationen im Sinne einer Simulation.

Autorinnen:

Mareike Mentschel
Hannah Seichter

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